„Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden.“ Kaum ein anderer Satz polarisierte in den letzten Wochen mehr. Kaum ein anderer Satz brachte mehr Menschen in Rage und befriedigte gleichzeitig so viele. Und keine andere Aussage zeigte konträr zueinander stehende Wertevorstellungen besser auf, als jener Satz unseres Bundesinnenministers. Doch von welchen Werten ist hier eigentlich die Rede? Und können Werte einfach so zu bestimmenden Verhaltensweisen, zu richtungsweisenden Vorgehensweisen führen? Die Produktion „Values // Värde // Werte“ spielt mit jenen Fragen und konfrontiert euch mit eigenen Vorstellungen, kontextualisiert in gesellschaftliche und gleichermaßen individuelle Prozesse. Sind Werte unangreifbar? Welche Aufgabe kommt dem Faktor Mensch zu und wie können wir unsere Werte verteidigen? Und ist das überhaupt notwendig?

Die COMEDIA bringt derzeit eine Produktion auf die Bühne, die zum Nachdenken anregt, die beizeiten verwirrt und Rückschlüsse zulässt, die von individuellen Ansichten abhängig sind. Sie spricht Themen an, die uns alle betreffen und die schon seit Jahrhunderten gesellschaftliche Diskussionen bestimmen. Es geht nämlich um die Darstellung von Wertevorstellungen, die das gesellschaftliche Zusammenleben dominieren.

Es geht darum, wie sich diese Wertevorstellungen und die Kommunikation jener auf uns, als Individuen eines gesellschaftlichen Konstruktes, auswirken. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für uns? Und inwieweit sind wir dazu angehalten, jene Werte in einer Gesellschaft aufrecht zu erhalten, sobald sie angegriffen, abgeändert oder ersetzt werden? Wenn Werte für egozentrische Zwecke missbraucht, wenn sie verquer kommuniziert oder möglicherweise gar unaufrichtig rezipiert werden, wie geht man am besten mit solchen Veränderungen um?

Die Inszenierung selbst gibt euch für die Beantwortung dieser Fragen zwar keine klare Antwort, aber sie versucht euch Denkansätze zu vermitteln. Denn sie ist in Form eines Tanztheaters aufgezogen und das ist ja bekanntlich immer so eine Sache. Es ist individuell interpretierbar, es ist manchmal schwer zu verstehen und kann allzu schnell über’s Ziel hinausschießen. Für mich selbst war es das erste Tanztheater, das ich aktiv mitverfolgt habe. Die ein, zwei Vorführungen, die ich in der Vergangenheit gesehen habe, interessierten mich nämlich nicht wirklich. Doch diese Inszenierung, sie hat mich direkt gepackt, schon als ich das erste Mal von ihr gehört habe. Ob ich sie korrekt interpretiert habe? Egal. Habe ich alles verstanden, was ich gesehen habe? Mitnichten. War das wichtig? Nein. Denn jeder sieht andere Dinge, hat andere Vorstellungen von solch einer Veranstaltung und dessen Intention.

Zum ersten Mal also musste ich gesehene Tänze in einen entsprechenden Kontext bringen. Oftmals kamen mir die Bewegungen wirr vor, die Schauspieler schlängelten umeinander herum, vollführten meist asymmetrische Tanzbewegungen, die auf den ersten Blick kaum einen Nutzen zu haben schienen. Aber je länger die Aufführung dauerte, je mehr Inhalt die Inszenierung gewann, desto mehr sah ich in den Bewegungsabläufen. Handelten sie doch von der Verschiedenheit individueller Freiheiten und der sich daraus ergebenden Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungen. Obwohl asymmetrisch wirkend, erkannte ich bald eine gewisse Struktur in den Abläufen. Die Tanzbewegungen waren zwar oft konträr zueinander, doch sie ergänzten sich, fügten sich zu einem Bild, das als Ganzes gelesen werden musste.

Zu diesem Bild gehörte auch die akustische Untermalung. Oftmals ebenso überlappend und verwirrend, so wirkten die musikalischen und gesprochenen Einspielungen doch allzu belebend und passend zu den Tänzen und vollzogen immer mal wieder Schleifen, durchgehend aufgebrochen und mit neuen Elementen ergänzt. Gleichheit hingegen wurde mit Gleichheit vergolten, ward dämmrig inszeniert und stellte damit einen Kontrast zu den lebendigen und aufgewühlten Darstellungen dar, die Vielfalt und Andersartigkeit verkörperten.

Die Zuweisung bestimmter Werte auf einzelne Personen schien damit also kaum möglich, da allein der Aspekt der individuellen Freiheit diese Zuschreibung verbot. Dass die Schauspieler in einer Szene versuchten, sich gegenseitig Werte zuzuschreiben oder jene für sich selbst zu beanspruchen, das ging erwartungsgemäß schief. „Ich will die Liebe!“ – „Nein, ich will sie haben!“ Der Widerspruch, dass eine aggressive Beanspruchung spezifischer Werte letztlich dazu führt, dass man jene nur selten verinnerlicht, der spielte für sie offensichtlich keine Rolle, eher im Gegenteil. Hauptsache, sie konnten die proklamierten Werte für sich selbst sichern, ungeachtet des Gegenübers. Hauptsache, die eigene Werteverinnerlichung erfuhr Befriedigung und konnte verteidigt werden…

Values, Värde oder Werte. Ungeachtet sprachlicher Differenzen, sind sie wirklich so unangreifbar, wie wir uns das wünschen? Stehen sie für ein festes Wertegerüst, das gesellschaftliche Vorgänge dominiert und gleichzeitig individuelle Möglichkeiten einräumt? Oder zäunen sie eher ein und sind dadurch für Engstirnigkeit und Zwiespalt verantwortlich, die sich an gesellschaftlichen Gegebenheiten reiben? Inwieweit können Werte dabei helfen, Vorgehensweisen vorzugeben und gesellschaftliches Zusammenleben zu fördern? Bildet euch selbst eine Meinung. Die Produktion „Values // Värde // Werte“, sie gibt euch zumindest gewisse Denkanstöße mit auf den Weg. Mein Kopf raucht noch immer vor lauter Interpretationsmöglichkeiten. Doch letztlich liegt es an jedem selbst, diese Möglichkeiten für sich selbst anzuwenden. Wir wünschen euch viel Spaß.

Fotos: MEYER ORIGINALS

Zeiten:

23.01.2019:
11:00 Uhr

24.01.2019:
11:00 Uhr und 19:00 Uhr

25.01.2019:
11:00 Uhr

Preise:

regulär: 16,50 €
ermäßigt: 11,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

COMEDIA Theater
Adresse: Vondelstraße 4-8, 50677 Köln
Telefon: 0221 – 888 77 222
Webseite:
www.comedia-koeln.de/junges-theater/programm/values-vaerde-werte
KVB:
Linien 15, 16, 17: Chlodwigplatz
Linien 15, 16: Ulrepforte

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