Auf deutschen Bühnen noch nicht gesehen

Seit Generationen lebten die Nachbarn friedlich zusammen. Dann erwachte der Hass – und die einen denunzieren, berauben, vergewaltigen und bringen die anderen um. Weil die die „falsche“ Religion hatten, die „falsche“ Nationalität, eine andere politische Meinung, eine andere Sprache – ein höchst aktuelles Thema. Seit über einem Jahr sitzt die Kölner Regisseurin Irina Miller in den Startlöchern, um das zeitlos exemplarische Theaterstück „Unsere Klasse“ des Polen Tadeusz Slobodzianek über das Pogrom im polnischen Jedwabne auf die Bühne zu bringen. Doch Corona verhinderte es bislang. Und eine anscheinend von der Pandemie gestörte Stadtverwaltung. 

Irina Miller kam 2000 aus Kasachstan nach Köln. Zur Aktualität des Stückes verweist sie auf die Bürgerkrieg infolge der Auflösung Jugoslawiens, auf Syrien, den Irak, auf Myanmar, den Jemen, die Ukraine. Nicht zuletzt auf das Pogrom von Jedwabne: Nach dem Einmarsch der Deutschen brach sich hier ein lange unterdrückter Antisemitismus Bahn.

Ein Verbrechen, das heute tabuisiert wird 

Ein Verbrechen, über das das nationalistische offizielle Polen heute nicht gerne spricht. Aufgearbeitet hatte es um die Jahrtausendwende der US-Soziologe Jan Tomasz Gross in seinem Buch „Nachbarn“, Grundlage für den Dramatiker Slobodzianek. „Es ist faszinierend, wie hier am Beispiel einer Schulklasse der Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart geschlagen wird“, ist Miller fasziniert. Wie Fakten und Fiktion verbunden werden, Traumsequenzen eingebaut sind, wie die Täter mit ihren Opfern konfrontiert werden. 

Den Theatertext gibt es schon seit 2015 auch auf Deutsch – doch anders als in Großbritannien, Russland, Israel oder den USA wurde das Stück hierzulande noch nirgends aufgeführt. Millers Inszenierung wäre so sogar die deutschsprachige Uraufführung. 

Im vorigen März begann sie mit den Vorbereitungen. Besorgte die Aufführungsrechte, sammelte sieben Schauspieler und drei Schauspielerinnen für die Bühne um sich, dazu einen Geiger, einen Bühnenbildner, eine Kostümbildnerin. Nicht zu vergessen die Techniker. In diesem Herbst, am 9. September, soll Premiere sein, insgesamt acht Vorstellungen sind geplant. Nach jeder soll es eine Diskussion geben. Hierfür ist sie mit der Liberalen jüdischen Gemeinde Kölns im Gespräch.

Die Finanzierung ist so gut wie gesichert 

Sogar die Finanzierung ist mehr oder weniger gesichert. So hat der Verein „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ schon Fördergelder bewilligt. Zusagen gibt es vom NRW-Landesbüro für darstellende Künste und vom Fonds Darstellende Künste DAKU. Das Kölner Kulturamt versprach Unterstützung. Auf rund 70.000 Euro schätzt Miller den Gesamtbedarf für die Produktion. Unterm Strich dürfte da für die Mitwirkenden kaum mehr als der gesetzliche Mindestlohn herauskommen. Allein zwei Monate sind für die Proben eingeplant. Auch Bühnentechnik und Mieten müssen bezahlt werden. 

Doch Corona brachte alle Planungen durcheinander. Zum großen Problem wurde mit der Schließung der Theater der mögliche Aufführungsort. Der muss eine Bühne haben mit Platz für das elfköpfige Ensemble. Kölner Theater sagten auf Nachfrage ein mögliches Gastspiel der freien Gruppe ab: Sie haben genug eigene Inszenierungen in der „Pipeline“ (so das schöne Neudeutsch), die auf ihre Premiere warten. Miller fragte bei Clubs, Hallen, Bürgerhäusern und Bürgerzentren für einen Termin in diesem September nach – alle winkten ab. 

Im Gymnasium Kreuzgasse freut man sich auf das geplante Gastspiel 

Dann stieß sie auf das Gymnasium Kreuzgasse. Der Direktor antwortete auf ihre Anfrage innerhalb von zwei Stunden: Ja, er stelle ihr gerne die Aula zur Verfügung. Eine Schule, in die dieses Stück passt: Hier ist die Aufarbeitung der Vergangenheit ein selbstverständlicher Bestandteil des Lehrangebots. Regelmäßig erkunden Schülerinnen und Schüler das Leben ehemaliger jüdischer Schüler, die Opfer der antisemitischen NS-Politik wurden. 31 Stolpersteine vor dem Eingang zeugen von Ergebnissen dieser Arbeit. 

„Ich freue mich auf dieses spannende Theaterstück“, sagt Oberstudienrätin Silke David, die das „Erinnerungskonzept“ leitet. Es zeige, wie sich aus einem vielleicht auch nur oberflächlich friedlichen Zusammenleben langsam Ausgrenzung entwickle. Wie der Verfolgung mit Gleichgültigkeit begegnet werde. Wie aus Entfremdung mörderische Feindschaft werden könne. Und sie sieht in „Unsere Klasse“ durchaus Parallelen zu aktuellen politischen Ereignissen. Inzwischen ist klar: Am 9. September ist Premiere.

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Foto 1: Jürgen Schön – Irina Miller plant mit einem freien Ensemble die Aufführung des Stücks „Unsere Klasse“.
Foto 2. Jürgen schön – Eine von 31 Stolpersteinen vor dem Gymnasium Kreuzgasse.

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